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Was geschah in der Villa Romana del Casale?

Auf Sizilien liegt eine der bedeutendsten archäologischen Stätten des Imperium Romanum. Die Villa Romana del Casale. Ihr Bodenmosaik mit den sogenannten Bikinimädchen ist weltbekannt. Doch wem gehörte die Villa und wozu wurde sie genutzt?

Etwa 100 Kilometer südwestlich von Catania nahe der Kleinstadt Piazza Armerina liegt die Villa Romana del Casale. Mit dem Mietwagen über die Autostrada in Richtung Palermo ist man in 1,5 Stunden da. Als UNESCO Welterbe ist die Stätte auf Besucher in großem Umfang eingerichtet. Rund 500.000 sind es jährlich. Vom Parkplatz entlang an den Souvenirbuden erreicht man nach wenigen Minuten die Überreste des antiken Gebäudekomplexes. Von außen sieht die Anlage unspektakulär aus. Mannshohe Grundmauern, die Mosaiken geschützt durch Überdachungen. Der Hauptteil der Villa ist ummauert und ahmt die alte Gebäudestruktur nach.

Die ersten Gebäudeteile welche die Besucher erreichen, gehörten einst zum Thermenbereich der Villa aus dem 4. Jahrhundert. Ich werfe einen Blick in den ehemaligen Kaltbaderaum, das Frigidarium. Den achteckigen Raum mit seinen Seitennischen zur Umkleide ziert ein Mosaik mit Meeresszenen. Sehenswert ist auch die große Palaestra, ein rechteckiger Saal für Sportübungen mit zwei gegenüberliegenden Apsiden. Ihn schmückt ein großes Mosaik, das ein Wagenrennen wie im Circus Maximus in Rom darstellt. Die beiden Räume geben schon einmal einen Vorgeschmack auf das, was noch zu sehen sein wird. Der Boden fast aller Räume des Anwesens ist mit Mosaiken aus farbigen Steinchen bedeckt, die insgesamt eine Fläche von rund 3.500 qm bedecken. Mehr als in jedem anderen bekannten Gebäude des römischen Reichs. Insgesamt sind wohl 30 Millionen Mosaiksteinchen verlegt worden. Der Stil der Mosaikbilder und die Ähnlichkeit mit anderen Arbeiten veranlassen Experten davon auszugehen, dass es Handwerker aus den afrikanischen Provinzen des Imperium Romanum waren, welche die Mosaiken in der Villa Romana del Casale erstellt haben. Bei einem Auftrag dieser Größenordnung kamen sicher spezialisierte Handwerker zum Einsatz. Von der Zeichnung der Motive, über die Bearbeitung der Steine bis zum Verlegen der Mosaiken in den Bodenestrich. Für die Mosaiksteinchen wurden Flusskiesel, Sandstein und Marmor, auch Glaspaste und sogar Gold verarbeitet.

Doch wem gehörte die imposante Villenanlage und wozu wurde sie genutzt? Erholte sich hier ein hoher kaiserlicher Beamter mit seiner Familie von den Strapazen seines Berufsalltags oder ließ sie ein steinreicher Großgrundbesitzer errichten und nutze sie auch als Verwaltungszentrum seines großen Landbesitzes? In der Vergangenheit wurde die Villa Romana del Casale römischen Kaisern zugeschrieben, wie Kaiser Maximian, der sich nach seiner Abdankung hierher zurückgezogen habe soll. Auch sein Sohn und Nachfolger Maxentius wird als Hausherr diskutiert. Der Bau des Anwesens fällt in ihre Regierungszeit. Aber auch ein Mitglied des Senatorenstandes und dem Kaiserhaus nahestehende Persönlichkeit wie der Politiker Lucius Aradius Valerius Proculus könnte der Besitzer gewesen sein. Vielleicht auch der Unternehmer Sabucius Pinianus oder der Politiker und ehemalige Prätorianerpräfekt Gaius Ceionius Rufius Volusianus. Es gibt Indizien aber keine gesicherten Erkenntnisse.

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Die "Bikinimädchen" der Villa Romana del Casale

Die Diskussion um Eigentümer und vor allem Nutzung der Villa wurde auch durch das berühmte Mosaik mit den sogenannten “Bikinimädchen” befeuert. Was stellen die Bikinimädchen dar? Das Mosaik zeigt zehn junge Frauen in sportlichen Posen. Eine Diskuswerferin, zwei Läuferinnen, zwei Ballspielerinnen, eine Weitspringerin mit Hanteln und die Szene einer Siegerehrung. Am zerstörten linken Oberrand war wohl einmal eine Speerwerferin zu sehen. Doch sind es wirklich Sportlerinnen? In den 1960er-Jahren vermuteten einige Forscher, dass die eher wabbeligen als durchtrainierten Bäuche der halbnackten Römerinnen eine erotische Interpretation nahelegen würden: Es sind Entertainerinnen, die eine Revue aufführen, bei der sie Sportgeräte als Requisiten schwenken. Eine Art Wasserballett zur Animation der männlichen Zuschauer in der Therme. Annahmen sind wohl auch immer ein Kind ihrer Zeit.

Der Historiker Martin Dolch hatte einen anderen Vorschlag. Er glaubte, dass es sich bei dem Mosaik, um eine Art Fitness-Anleitung für die Damen des Hauses handelte. Demnach zeige das Bild verschiedene gymnastische Übungen, die zum diätischen Programm einer jungen Dame gehörten. Die Diätik, die vor allem auf den griechischen Mediziner Galen zurückging, war die Lehre von einer gesunden Lebensweise, die neben ausgewogener Ernährung auch Leibesübungen vorsah. Mens sana in corpore sano. Die lateinische Redewendung des römischen Dichters Juvenal bedeutet so viel wie „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“. Ähnlich argumentiert auch die Archäologin Petra Pettmann in einer aktuellen Rezension des Buches “Die Pracht römischer Mosaiken: Die Villa Romana del Casale”. Ihrer Ansicht nach handelt es sich weder um eine typische Palastanlage, noch um ein Landgut, eine Villa Rustica. Vielmehr könnte es sich ihrer Ansicht nach um eine hotelartige Schule und Wettkampfstätte für höhere Töchter und Söhne der römischen Oberschicht handeln, in der diese auf ihr Leben und die Sitten im Palast vorbereitet wurden.

Im Jahr 2012 wurden 400 Meter südlich der Villa Romana del Casale zwei neue archäologische Areale entdeckt. Man geht inzwischen davon aus, dass die Villa im Bereich einer weiteren Bebauung lag. Das wird vielleicht neue Erkenntnisse zutage fördern, die dann auch verlässlichere Antworten auf die Frage nach Eigentümer und Nutzung geben.

Villa Romana del Casale
SP90, 94015 Piazza Armerina EN, Italien

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