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Stifter und ihre Städte – Städte und ihre Stifter

In der Antike stiftete die reiche Oberschicht Tempel und Theater für ihre Städte, Brunnen und Bibliotheken, Brot und Spiele. War das überall im Römischen Reich so und findet sich in unserer modernen Welt heute noch etwas davon? 

„Der wichtigste Mäzen, den Sagalassos je hatte, lebte zur Zeit des Kaisers Hadrian; sein Name war Titus Flavius Severianus Neon“, schreiben Marc Waelkens und Kollegen in ihrem Buch über die alte römische Stadt in der Südwesttürkei.

Titus Flavius Severianus Neon gehörte zu einer von drei Familien, die über Jahrhunderte die Stadt mit ihrer Bau- und Stiftungstätigkeit prägten, den Titi Flavii (Neones). Er war verheiratet mit Publia Aelia Oulpiana Noé und die beiden stifteten das Antoninische Nymphäum, eine monumentale Brunnenanlage, dessen wiederaufgebaute Fassade das Wahrzeichen der archäologischen Stätte Sagalassos ist. Heute stehen fünf Blöcke mit Inschriften vor dem Nymphäum, die einst zu Porträt- und Kultstatuen aus Bronze oder Marmor gehörten und von denen einige Ehreninschriften für Mitglieder seiner Familie tragen. Man hat sie nach dem Erdbeben im fünften Jahrhundert bei der Restaurierung der Brunnenanlage aus anderen Bereichen der Stadt hier neu aufgestellt, um der Familie ein dynastisches Denkmal zu setzen. 

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Nymphäum in Sagalassos und Inschriftensteine
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Neon-Bibliothek mit Inschriften und Nischen für Statuen

Nicht so sehr im Rampenlicht der Besucher, aber nicht weniger bedeutend, ist die von Neon gestiftete und nach ihm benannte Bibliothek der Stadt. Sie war seinem verstorbenen Vater gewidmet. Das Gebäude aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts liegt am Ostrand der Oberen Agora, direkt hinter dem spät-hellenistischen Brunnenhaus. Im Inneren befand sich ein rechteckiger Lesesaal mit Nischen für Bücher in den Seitenwänden. Entlang der Rückwand standen sieben Statuen und Ehreninschriften für verschiedene Familienmitglieder.

Neons Großvater, T. Flavius Neon, war mit Claudia Severa aus der Familie der Tiberii Claudii, verheiratet. Sie stiftete mit ihren Geschwistern ein Nymphäum in der Nähe des Stadions. Claudia Severas Familie lässt sich zurückverfolgen bis zu Eilagoas und Krateros, beides Söhne des Kallikles, die in augusteischer Zeit mit Ehrensäulen gewürdigt wurden. Die Söhne von Eilagoas gelten als erste römische Bürger der Stadt. Während der Regierungszeit von Kaiser Caligula errichtete ein Enkel des Eilagoas einen monumentalen Torbogen zu Ehren des Kaisers an der Stelle, an der die Südweststraße in die Obere Agora mündete. Auch Tiberius Claudius Piso gehörte zur Familie der Tiberii Claudii und war wohl der erste aus Sagalassos, der in den Ritterstand (equites) erhoben. Das setze ein Vermögen von mehr als 400.000 Sesterzen voraus und einen tadellosen Ruf. Selbstverständlich musste man frei geboren sein. Das hadrianische Nymphäum wurde „durch seine Erben gemäß Testament“ ausgeführt. Zusammen mit Tiberius Claudius Varus ist er als Stifter kaiserlicher Ehren belegt.

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Macellum und Ehrenbögen auf der Oberen Agora in Sagalassos

Neons Frau, Publia Aelia Oulpiana Noé, war in erster Ehe mit P. Aelius Akulas verheiratet. Der tat sich als Wohltäter für seine Stadt hervor, als er den Bau des Lebensmittelmarktes (Macellum) finanzierte. Hier ist sogar die Summe bekannt: die 50.000 Denare (200.000 Sesterzen) für die Baukosten übernahm er als freiwillige Spende, weitere 13.000 Denare musste er für die Übernahme des Amtes als Hohepriester des Kaiserkults an die Stadtkasse abführen (summa honoraria). Auch andere Aelii treten durch Ehrungen in Erscheinung, beispielsweise Akulas Tochter P. Aelia Arruntia. Leider ist nicht bekannt, wofür sie geehrt wurde. Bei weiteren Aelii, wie P. Aelius Quintus Claudius Philippianus Varus, weiß man, dass er Spiele gestiftet hat, aber nicht gesichert ist, ob er mit Akulas verwandt war. Der gleiche Gentilname könnte auch durch die Bürgerrechtsverleihung unter Kaiser Hadrian herrühren.

Vor allem die Titi Flavii (Neones) und die Tiberii Claudii spielten vom ersten bis zum dritten Jahrhundert oder noch länger eine bedeutende Rolle in Sagalassos. Wohlhabende Eliten finanzierten aus privaten Mitteln öffentliche Gebäude wie Tempel, Bäder, Theater, Aquädukte oder Bibliotheken, aber auch Gladiatorenkämpfe, Feste oder Getreidespenden. Das Geld stammte aus Agrarerträgen ihres Großgrundbesitzes und Einnahmen aus dem Handel mit Wein, Olivenöl oder Getreide, vielleicht auch aus Beteiligungen an der Bau- und Keramikindustrie. Im Gegenzug konnten sie mit Bürgerrechten, Ehrungen und öffentlichen Ämtern rechnen und festigten so ihren sozialen Status und politischen Einfluss. Spätestens seit den Arbeiten des französischen Historikers Paul Veyne hat sich hierfür der Begriff Euergetismus etabliert.

Stifter in Germanien

Während aus der heutigen Türkei oder auch beispielsweise aus Tunesien hunderte Inschriften von einer breiten und tief verwurzelten Kultur des privaten Mäzenatentums zeugen, gibt es nur wenige solcher Belege aus dem ehemals römischen Teil Deutschlands. Aus Beda (heute Bitburg) bezeugt eine Theaterinschrift eine private Stiftung. In Mogontiacum (heute Mainz) verweist der Dativius-Victor-Bogen auf stifterisches Engagement. Waren diese großzügigen Gesten Ausnahmeerscheinungen oder sind sie lediglich die sichtbare Spitze eines Eisbergs, dessen Masse durch den Lauf der Zeit fast vollständig erodiert ist?

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Zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses, für die Gottheiten der Augusti sowie für Jupiter, den größten und besten, hat Lucius Ammiatius Gamburio eine Theaterbühne mit Logen (gestiftet) und darüber hinaus 50000 Denare, aus deren Zinsen für den Unterhalt der Bühne und Spiele alljährlich am 30. April die Verwalter des Ortes Sorge tragen sollten, anvertraut. Gestiftet als Saturninus und Gallus Konsuln waren. (Rheinisches Landesmuseum Trier)
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Rekonstruierter Dativius-Victor-Bogen in Mainz

Die Antwort ist wohl: in den römischen Provinzen Niedergermanien, Obergermanien und Raetien wurde weniger gestiftet und von dem, was es gab, ist weniger überliefert. Warum ist das so?

Während beispielsweise die römischen Provinzen Asia und Africa Proconsularis einen hohen Urbanisierungsgrad aufwiesen, in denen eine alteingesessenen, oft sehr reiche senatorische und ritterliche Aristokratie lebte, die auf ihren riesigen Ländereien eine exportorientierte Landwirtschaft betrieben, waren die germanischen Provinzen von einer Militär- und Versorgungswirtschaft geprägt, die vorrangig den Bedarf der Legionen deckten. In den vergleichsweise wenigen Städten setze sich die Oberschicht überwiegend aus hierher versetzen hohen Offizieren und Verwaltungsbeamten zusammen. Nach dem Ende der römischen Herrschaft im westlichen Teil des Reiches kam es zu einem fundamentalen Bruch mit römischen Institutionen und Kultur. Die Städte wurden im Mittelalter und der Neuzeit überbaut, römische Ruinen wurden dabei als Steinbrüche genutzt. Das feuchte Klima und der Frost zerstörten so manche Bausubstanz und Inschriftentafel. In Afrika oder der Türkei wirkten sich das Klima und die historische Entwicklung deutlich weniger negativ aus.

Stifter in Deutschland

Und wie steht es heute um die Stifter in Deutschlands Städten? Das stifterische Engagement ist vielfältig und durchaus dynamisch. So entstand ab Mitte der 1990er Jahre mit den lokal wirkenden Bürgerstiftungen eine neue Stiftungsform, die sich durch gemeinschaftliches Engagement vieler Menschen auszeichnet. Die meisten der rund 25.000 traditionellen Stiftungen sind klein und verfügen über weniger als eine Million Euro Stiftungskapital. Da nur die Erträge verwendet werden dürfen, ist das finanzielle Engagement recht begrenzt. Es gibt aber auch Beispiele großer Stifter, die dem antiken Engagement in Sagalassos ähneln, auch wenn keine Tempel oder Gladiatorenspiele mehr gestiftet werden.

Hasso Plattner beispielsweise, der Mitgründer des global agierenden Softwarekonzerns SAP engagiert sich in seiner Wahlheimat Potsdam. Er gründete das Hasso-Plattner-Institut für Informatik an der dortigen Universität und sicherte die Finanzierung für zwanzig Jahre zu. Zu den weiteren Großprojekten gehört die Stiftung eines neuen Universitätscampus, die Mitfinanzierung beim Wiederaufbau des Stadtschlosses und die Gründung und Ausstattung des Museums Barberini. Das finanzielle Engagement dürfte mehre hundert Millionen Euro umfassen.

Dieter Schwarz, Gründer der gleichnamigen Unternehmensgruppe zu der Lidl und Kaufland gehören, ist einer der reichsten Deutschen und ein weiteres Beispiel für großes Engagement. In seiner Heimatstadt Heilbronn finanziert seine Stiftung den Aufbau eines großen Bildungscampus mit Ablegern renommierter Hochschulen. Außerdem fördert seine Stiftung Fraunhofer- und Max-Planck-Forschungseinrichtungen sowie den Aufbau des Innovationsparks für Künstliche Intelligenz. Das finanzielle Engagement wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt.

Reinhold Würth, als drittes Beispiel, baute die kleine Schraubenhandlung seines Vaters zu einem Weltmarktführer für Montage- und Befestigungstechnik aus. Sein Engagement in der ländlichen Region Hohenlohe in Baden-Württemberg ist vor allem kulturell und sozial geprägt. Er gründete mehrere Museen und Kunstgalerien, rief die Würth Philharmoniker ins Leben und engagiert sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung, beispielsweise durch einen Ausbildungsbetrieb und die Unterstützung der Special Olympics. Sein finanzielles Engagement dürfte mehre hundert Millionen Euro umfassen.

Wieviel Euergetismus steckt in heutigen Stiftern?

Wer heute stiftet oder spendet, den nennt man häufig einen Wohltäter und geht von altruistischen Motiven, also uneigennützigen Beweggründe aus. Anderen Menschen zu helfen, ohne einen direkten persönlichen Vorteil zu erwarten, ist das Leitbild. In der modernen Steuergesetzgebung in Deutschland spiegelt sich dies in der Vorschrift der Selbstlosigkeit wider. Auch beim Philanthropen, so die Definition, ist das zentrale Motiv die Liebe zum Menschen und der Wunsch, das Gemeinwohl zu fördern. Wenig anders beim Mäzen, ein Begriff, der auf Gaius Cilnius Maecenas zurückgeht und eine Person beschreibt, die z.B. einen Künstler oder eine Kultureinrichtung finanziell unterstützt, ohne dafür eine direkte Gegenleistung zu erwarten.

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Mit Googles Bild-KI Gemini 2.5 Flash Image (aka Nano Banana) generiertes Bild: Stifter in der Antike und in der Moderne.

Für Wirtschaftswissenschaftler ist dies oft eine fremdartige Vorstellung, lehrt doch die ökonomische Verhaltenstheorie, das Individuen sich stets nutzenorientiert verhalten, wie es auch das Konzept des Euergetismus betont. Drei Gemeinsamkeiten sehe ich zwischen antiken Euergeten und heutigen Großstiftern, jenseits weiterer Motive:

  • Den Austausch von Reichtum gegen Ehre: Der zentrale Tauschmechanismus ist unverkennbar. Die Verleihung von Ehrenbürgerwürden an Plattner und Würth, die Benennung von Institutionen nach ihren Stiftern, die Lobreden von Bürgermeistern und Politikern kann man durchaus als moderne Äquivalente zu den antiken Ehrungen sehen.
  • Die Gestaltung des öffentlichen Raums: Wie ihre antiken Vorbilder finanzieren heutige Stifter wichtige öffentliche Bauten – Museen, Konzerthallen, Universitäten, Sportstätten – und prägen damit das bauliche, soziale und kulturelle Stadtbild nachhaltig. Dabei muss man die unterschiedliche Größe der Städte und Einwohnerzahlen in der Antike und heute berücksichtigen.
  • Die Legitimation von Reichtum: Reichtum, insbesondere wenn er nicht durch eigene Leistung erworben, sondern beispielsweise geerbt wird, wird von vielen Menschen als ungerecht empfunden. Aus der Masse der anonymen Steuerzahler heben sich Reiche nicht hervorheben. Durch öffentliches stifterisches Engagement lässt sich beidem entgegenwirken.

Ein wesentlicher Unterschied besteht meiner Ansicht nach jedoch darin: Euergetismus war in der Antike ein Instrument der Herrschaftssicherung. Staatliche Leistungen wurden als persönliche Geschenke des Kaisers inszeniert, der damit ein Vorbild für die Eliten im Römischen Reich schuf. Die lokalen Euergeten orientierten sich an diesem Verhalten und erfüllten damit an sie gestellte staatliche und gesellschaftliche Erwartungen. Euergetismus war ein System, das im gegenseitigen Einvernehmen funktionierte. Im Gegensatz dazu agiert der moderne Stifter in einem System demokratisch legitimierter Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten und deren Finanzierung, wie Wahlen und Parlamentsdebatten. Große Stiftungen können erheblichen gesellschaftlichen Einfluss ausüben, sind aber nur den Zielen ihrer Gründer verpflichtet, was zu einem latenten Spannungsverhältnis und öffentlichen Diskussionen führt.

Danke fürs Lesen. Möge Fortuna stets mit Dir sein.

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2 Replies

  1. Lieber Stefan Nährlich, danke für diesen Beitrag. Mein Sonntag ist fast gerettet. Gäbe es da nicht die ewige Neiddebatte von Rot, Links, Grün, die sich daran abarbeitet, jeglichen Reichtum der „Reichen“ in Misskredit zu bringen und und möglichst jeden, der über dem Existenzminimum lebt, immer mehr zu schröpfen. Jenen Postkommunisten muss Ihr Artikel Wutattacken bescheren. Übrigens, Hamburg hat mit Herrn Kühne auch einen Mäzen, über den die oben beschriebene Blase das Fallbeil der öffentlichen Missachtung schon erhoben hat. Das Geld nehmen sie trotzdem!
    Viele Grüße
    Judith Schewe

    • Liebe Judith Schewe, das gibt es leider noch sehr häufig. Auch Unternehmen, die sich engagieren, stehen vielfach erst einmal unter Verdacht. Als HSV-Fan freue ich mich, dass uns Herr Kühne den Namen Volksparkstadion wiedergegeben hat. Beste Grüße, Stefan Nährlich

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