Rund 1.000 Jahre nach dem Ende der Antike begeistern sich Adlige und Bürger, Intellektuelle und Künstler für die Bühnenkunst und lassen ein feststehendes Theater bauen. Andrea Palladio entwirft es nach antikem Vorbild. Am 3. März 1585 wird es eröffnet und steht noch heute fast unverändert an der Piazza Matteotti 11 in Vicenza. Schon die Besichtigung des Teatro Olimpico gleicht einer Inszenierung und erst einmal heißt es warten.
Eine kleine Gruppe von Besuchern versammelt sich an diesem Morgen im Wartesaal des Teatro Olimpico. Ein Countdown über der Tür zählt die Minuten und Sekunden herunter, die es noch dauern wird, bis wir den ersten festen Theaterbau, der nach dem Ende der Antike wieder gebaut wurde, betreten dürfen. Bis dahin waren mobile Holzbühnen üblich, auf denen umherziehender Schauspielergruppen auftraten, später wurden Aufführungen in Sälen und Salons präsentiert. Auf den Tablets, die wir am Einlass erhielten, informieren wir uns schon einmal. Dann geht es los und zügig schreiten wir dem Zuschauersaal entgegen.
Der Sohn eines Müllers und spätere Stararchitekt der Renaissance, Andrea Palladio, schuf diesen Bau im Auftrag der Olympischen Akademie von Vicenza. Für die Akademie, seit 1935 eine gemeinnützige Stiftung, war es das Prestigeprojekt einer demokratisch strukturierten, humanistischen Vereinigung. Palladio schuf ein Theater, dass sich am Vorbild der klassischen Antike orientiert. Er bemühte sich, trotz der beschränkten räumlichen Gegebenheiten, das Schema des römischen Theaters aufzugreifen, wie es von dem großen Architekten der Antike Vitruv in seinem Werk Zehn Bücher über Architektur abgehandelt worden war. Die Fertigstellung seiner letzten Arbeit erlebt er nicht mehr. Fünf Jahre vor der Eröffnung des Teatro Olimpico stirbt Andrea di Pietro della Gondola, genannt Palladio, im Alter von 72 Jahren.
Der Zuschauerraum suggeriert ein antikes römisches Freilichttheater, mit einer monumentalen Bühnenwand, in deren Durchgängen heute noch die originalen hölzernen Bühnenbilder zu sehen sind. Der venezianische Architekt Vicenzo Scamozzi schuf sie nach Palladios Tod als Abbild der Straßen des antiken Theben für die Eröffnungsproduktion 1585. Seitdem stehen sie unverändert an ihrem Platz. Als Halboval mit 14 stufenförmigen Sitzreihen ist der Zuschauerraum angelegt. Abgeschlossen wird er von einem Säulengang mit Balustraden. Im Gegensatz zu einem römischen Theater ist Palladios Bau überdacht, der gemalte Himmel über den Sitzbereichen spielt jedoch auf das klassische Theater unter freiem Himmel an.
Zur Besichtigung des Teatro Olimpico gehört auch eine zehnminütige eindrucksvolle Lichtschau. Schon bei der Eröffnung verblüffte man mit einer aufwendigen Beleuchtung. Zahlreiche Öllampen und Kerzen hinter Glasbehältern mit farbigen Flüssigkeiten erzeugten im ganzen Theaterraum weißes und farbiges Licht. Angesichts der offenen Flammen ist es ein Wunder, das das Theater nicht irgendwann einmal niedergebrannt ist. Noch heute sind die alten Beleuchtungskörper erhalten, zum Einsatz kommt inzwischen moderne Beleuchtungstechnik.
So sehr die Bühnenkunst die Akademiemitglieder begeisterte, so nüchtern und pragmatisch gehen sie bei der Finanzierung des Theaterbaus vor. Die zahlreichen Statuen sind nicht nur eine Reminiszenz an die antiken römischen Theater, sie sind auch ein Anreiz, der finanziellen Großzügigkeit der Akademiemitglieder auf die Sprünge zu helfen. Statt wie anfänglich geplant, die Statuen als männliche und weibliche Symbolfiguren auszuführen, beschließt man, das “jedes Akademiemitglied seine Statue als Mann in antiker Kleidung oder Bewaffnung haben sollte, dass sie ggf. auch seine Züge tragen sollten und, das die schon fertigen weiblichen Statuen in männliche umzugestalten sind”. Dafür wurde von jedem Mitglied eine Spende von 60 Dukaten für den Bau erwartet. Die Zahlungsmoral soll nicht ganz so hoch gewesen sein oder vielleicht haben sich die Kosten erhöht. Jedenfalls wurden die Statuen auf der Balustrade über dem Peristyl erst Mitte des 18. Jahrhunderts geschaffen und aufgestellt, obwohl sie von Anfang an vorgesehen waren.
Theater sind Orte der Illusion. Scamozzis Bühnenbild war die erste praktische Umsetzung perspektivischer Ansichten in einem Renaissancetheater. Die Kulissenbauten zeigen eine idealisierte Version der sieben Straßen der Stadt Theben, in der die Tragödie der Eröffnungsaufführung spielt. In Wirklichkeit sind es jedoch Blicke auf das damalige Vicenza, auf Reihen schöner Häuser und Paläste, die auf einen scheinbar fernen Horizont zulaufen. Die Illusion des Blickes auf eine lange Straße entsteht durch die ansteigende Bodenschräge des hinteren Bühnenbodens und eine geschickte Lichtführung.
Auch die Statuen der Auftraggeber entpuppen sich bei genauerem Hinsehen nicht als Marmorfiguren. Sie sind aus Schilfrohr und Stroh um ein Eisengestell geformt und mit Ziegelmehl, Mörtel und Gips modelliert. Nur die späteren Statuen aus dem 18. Jahrhundert sind aus Stein.
Seit 1994 zählt das Teatro Olimpico zum UNESCO-Weltkulturerbe. Seinem Schöpfer wurde in seiner Heimatstadt Vicenza ein Denkmal gesetzt. Andrea Palladio. Architekt.
Teatro Olimpico, Piazza Giacomo Matteotti 11, 36100 Vicenza, Italien