Wenn Reisende den Leuchtturm von Patara sahen, hatten sie eine oft lange und gefährliche Fahrt hinter sich. Was führte sie am Ende des ersten Jahrhunderts nach Patara? Wie erlebten sie damals die Stadt und was ist davon noch heute zu sehen? Ich lasse meine Gedanken schweifen …
Die Gischt schmeckte nach Salz und Ehrgeiz. Nach Wochen auf See, eingepfercht auf einem Handelsschiff aus Brundisium, war der Anblick des Leuchtturms von Patara mehr als nur ein Versprechen auf festen Boden. Er war ein Fanal römischer Macht, ein steingewordenes Zeugnis dafür, was ein Mann mit Visionen – und den richtigen Verbindungen – schaffen konnte. Nero hatte ihn erbauen lassen, ein Kaiser, dessen Andenken nun verdammt war. Doch das Bauwerk stand, unerschütterlich. Ein gutes Omen, dachte ich und umklammerte die schwere Lederrolle unter meinem Mantel. Darin befanden sich nicht nur die Pläne für den neuen Aquädukt, sondern auch die Zukunft meiner Familie, der Cornelier.





Als wir in den Hafen einliefen, schlug mir eine Welle fremdartiger Stimmen und Gerüchen entgegen. Patara, die Hauptstadt unserer Provinz Lycia et Pamphylia, war ein Ort, an dem sich viele Völker und Waren des Ostens mischten. Ich ließ den Leuchtturm von Patara hinter mir und bahnte mir einen Weg durch das Gewühl, mein Blick fest auf die breite Hafenstraße gerichtet, die sich wie eine triumphale Allee ins Herz der Stadt zog. Welch ein Anblick! Links Säulen aus kostbarem Marmor, rechts aus nüchternem Granit – ein stummer Wettstreit der Stifter, ein Abbild des ewigen Spiels um Einfluss und Ansehen, das wir in Rom perfektioniert hatten und nun in die Provinzen trugen. Diese Straße war die Bühne, auf der das Schicksal entschieden wurde, und ich war gekommen, um meine Rolle zu spielen.


Mein Weg führte mich am Theater vorbei, dessen gewaltige Sitzreihen sich wie eine offene Hand an den Hügel schmiegten. Ich stellte mir vor, wie die Bürger hier nicht nur den Dichtern lauschten, sondern auch den Reden der Mächtigen. Ein Wort zur rechten Zeit, ein gespendetes Schauspiel, und die Gunst des Volkes war einem sicher. Ich wusste, dass die Fabier, die ewigen Rivalen meiner Familie, hier bereits eine Inschrift hinterlassen hatten, eine kleine, aber ärgerliche Markierung ihres Territoriums. Meine Pläne waren größer. Ein Aquädukt, das frisches Wasser für Tausende bringt, würde den Namen der Cornelier über den der Fabier erheben.
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Ich näherte mich dem Bouleuterion, dem alten Versammlungshaus des Lykischen Bundes. Einst hatten sich freie Städte zusammengeschlossen und über ihr Schicksal bestimmt. Seit wir Römer auch hier herrschen, ist es damit vorbei. Jetzt ist es ein Ort, an dem römische Interessen und lokaler Ehrgeiz aufeinandertreffen. Hier würde ich meinen Kontakt treffen, einen einflussreichen Lykiarchen, dessen Stimme im Rat entscheidend war. Die Pläne in meiner Hand waren mein Argument, das Gold meiner Familie die Überzeugung. Zum Wohle Roms und zum Wohle meiner Familie.





Später am Abend, in der Villa des Lykiarchen, breitete ich meine Pläne auf einem Tisch aus poliertem Zitronenholz aus. Er hörte mir geduldig zu, ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. „Ein großzügiges Angebot, Cornelier“, sagte er schließlich und seine Stimme war glatt wie geölter Marmor. „Aber Eure Familie kommt zu spät.“ Er führte mich auf eine Terrasse, von der aus man die Stadt überblicken konnte. „Seht Ihr das neue Stadttor dort im Norden? Ein prächtiger Bogen zu Ehren unseres Statthalters, Mettius Modestus.“ „Ein schönes Symbol“, gab ich zurück, „aber Symbole stillen keinen Durst.“
Der Lykiarch lachte leise. „Oh, aber dieses schon“, erwiderte er. „Dieser Bogen ist mehr als nur ein Eingang. Er ist das Herzstück des neuen Aquädukts, der seit kurzem die Brunnen der Stadt speist. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, das die Bürger lieben. Sie haben das Tor selbst finanziert, aus Dankbarkeit.“ Seine Worte trafen mich wie ein Faustschlag. Meine Pläne, meine wochenlange Reise – alles umsonst. Ich verließ die Villa, die wertlose Rolle in meiner Hand fühlte sich nun an wie Blei. Ein Aquädukt war vom Tisch. Aber Patara war eine große Stadt mit vielen Bedürfnissen. Ich würde etwas anderes finden. Etwas Größeres. Das Spiel war noch nicht verloren, es hatte nur gerade erst begonnen.






So hätte sich eine Geschichte in Patara am Ende des ersten Jahrhunderts abspielen können. Für das Engagement wohltätiger Eliten, die dies eigennützig zur Mehrung von Ansehen und Einfluss der eigenen Familie tun, steht der Begriff Euergetismus. In Patara waren es nicht Familien wie die Fabier, die ich mir ausgedacht habe, sondern beispielsweise die romfreundlichen Vilii. Quintus Vilius Titianus und seine Tochter Vilia Prokla spendeten für das Theater und finanzierten Mitte und Ende des zweiten Jahrhunderts das Bühnengebäude, weitere Sitzreihen und das Sonnensegel. Vilia Prokla wird außerdem in Inschriften von Statuenehrungen für Mitglieder kaiserlicher Familien genannt.
Der wiedererrichtete Leuchtturm von Patara ist unbedingt sehenswert. Fast 1500 Jahre konnten sich Seefahrer an dieser Landmarke orientieren, bis er wohl im Jahr 1481 durch ein Erdbeben zerstört wurde. Jetzt ragt er wieder von seinem steinernen Podium 26 Meter in die Höhe. Zwischen 2020 und 2025 wurde er weitgehend aus seinen Originalsteinen restauriert. Eine wieder angebrachte antike Inschrift ehrt Kaiser Nero, der den Leuchtturm um die Jahre 64/65 errichten ließ. Einst stand der Leuchtturm von Patara direkt am Hafen, heute ist die Gegend versandet.
Der Leuchtturm von Patara ist nicht nur ein archäologisches Highlight, sondern auch eine touristische Attraktion. Bald soll er nachts wieder leuchten. Gut 3000 Kilometer Luftlinie entfernt, im spanischen La-Coruna, steht der zweite heute noch erhaltene römische Leuchtturm.

Patara Beach: Der lange Strand von Patara mit den Sanddünen nahe der archäologischen Stätte.
Webseite der archäologischen Stätte von Patara und auf Google Maps.
Danke fürs Lesen. Möge Fortuna stets mit Dir sein. Hier kannst Du