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Gypsotheca Antonio Canova, Possagno.

Im Oktober vor zweihundert Jahren starb der große Bildhauer Antonio Canova. Ein Besuch des Museums Gypsotheca und des Tempels mit seiner Grabstätte in Possagno, Italien.

Die Gipsothek in Possagno ist die größte ihrer Art in Europa. Das sieht man dem Gebäude von außen nicht an. Wer aber in den 2000 Einwohnerort zwischen Venedig und Bozen kommt, weiß meist, das Possagno der Geburtsort des wohl größten Bildhauers der Neoklassik ist. Das Haus in dem Antonio Canova aufwuchs, bildet mit der Basilika der Gipsothek und weiteren Nebengebäuden das Museum Gypsotheca Antonio Canova. Hier sind die Gipsmodelle zu bewundern, nach denen Canova und seine Mitarbeiter viele berühmte Büsten und Statuen aus Marmor schufen.

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Museo Gypsotheca Antonio Canova in Possagno.

Antonio Canova wurde am 1. November 1757 in Possagno als Sohn einer Familie von Steinmetzen geboren. Der Großvater förderte sein Talent und führte ihn in das Handwerk der Bildhauerei ein. Nach seiner Lehre bei Giuseppe Torretti-Bernardi in Venedig machte sich Canova 1773 selbständig. Sechs Jahre später ging er nach Rom und eröffnete dort seine Werkstatt. Er modellierte für den Papst, Napoleon Bonaparte und andere europäische Herrscher. Er wurde 1802 zum Inspektor der Schönen Künste und der Antiquitäten des Vatikan ernannt und später mit der Wiederbeschaffung der von Napoleons Truppen gestohlenen Kunstwerke beauftragt.

Canovas Skulpturen stellen antike Helden und Götter dar, wie die Doppelskulptur Herkules und Lichas, deren Marmororiginal sich in der Nationalgalerie für moderne und zeitgenössische Kunst in Rom befindet. Der Held aus der griechischen Mythologie schleudert seinen Diener Lichas gepeinigt vor Schmerz ins Meer. Dabei wollte der ihm nichts Böses. Shit happens, würde man heute sagen. Am anderen Ende der Basilika stehen in angespannter Haltung die Faustkämpfer Damoxenos und Creugante in der Gipsothek. Neben ihnen der triumphierende Perseus mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa in der Hand, dessen Original im Museum Pio Clementino des Vatikan steht. Immer wieder schuf Antonio Canova Statuen der Göttin Venus, einzeln oder zusammen mit dem Kriegsgott Mars. Die Skulptur der beiden Götter im Museum Prado in Madrid wird heute nicht mehr Canova, sondern einem seiner Schüler zugeschrieben. Schön ist sie trotzdem.

Die Werke Canovas treffen das Gleichgewicht zwischen idealer und natürlicher Schönheit, orientieren sich an antiken und moderner Künstlern. Neben der Reproduktion von Statuen seiner griechischen und römischen Vorgänger widmet sich Canova im Auftrag seiner wohlhabenden Kunden auch Grabdenkmälern und fertigt für sie Porträts im Stil mythologischer Figuren an.

In der Basilika der Gipsothek hat die Statue von Napoleon Bonaparte ihren Platz gefunden, die den französischen Kaiser als Mars, den Friedensstifter mit der Siegesgöttin Nike auf der Weltkugel in seiner Hand, zeigt. Das Original aus Marmor stand bis 1816 im Louvre. Nach der verlorenen Schlacht bei Waterloo hat es die britischen Regierung erworben und dem Herzog von Wellington geschenkt. Jetzt steht sie im Treppenhaus des Apsley House in London, das einst dem Sieger von Waterloo gehörte und heute ein Museum ist.

Das flache Pyramidengrab für Erzherzogin Marie Christine, der Lieblingstochter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, gilt bis heute als eines der schönsten klassizistischen Grabdenkmale und befindet sich in der Augustinerkirche in Wien. Es war so teuer, dass ihr Ehemann, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, Antonio Canova in Raten bezahlen musste.

Neben der Basilika der Gipsothek, in einem kleinen Saal, dem sogenannten Flügel Scarpa, befinden sich weitere Gipsmodelle aus der Werkstatt von Canova. Der minimalistische Raum des italienischen Architekten Carlo Scarpa gibt ihnen mehr Platz und verleiht ihnen eine ganz besondere Wirkung. Das Marmororiginal der Tänzerin mit den erhobenen Armen und den Zimbeln in den Händen steht heute im Berliner Bode-Museum. Zusammen mit den weiteren Skulpturen von Tänzerinnen verkörpert sie Canovas Ideal weiblicher Anmut.

Die Sitzstatue von George Washington zeigt den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in antiker römischer Militärkleidung. In den Händen hält er Tafel und Feder; ein amerikanischer Cincinnatus, der seine Abschiedsrede an die Nation verfasst. An dem tugendhaften römischen Politiker Lucius Quinctius Cincinnatus nahm sich der Präsident und Unabhängigkeitskämpfer stets ein Vorbild. Auch der Name der Stadt Cincinnati im Bundesstaat Ohio geht auf diesen Ursprung zurück.

Beim Besuch der Gypsotheca Antonio Canova bietet sich nicht nur Gelegenheit, die Gipsmodelle der großartigen Skulpturen zu betrachten. Auch der Entstehungsprozess von der Idee zu seinen Skulpturen bis zu deren künstlerischen Realisierung als Marmorstatue wird vermittelt. Die Ausstellung im Geburtshaus zeigt den Weg von den ersten Skizzen, über ein kleines, rudimentäres Tonmodell und eine fertig ausmodellierte Tonskulptur in Originalgröße, von der zuerst ein Gipsabguss und anschließend ein Gipsmodell gefertigt wurden. Dieses Gipsmodel versah der Bildhauer mit zahlreichen Bronzenägeln, Rèpere genannt, die dazu dienten, Maße und Proportionen auf den Marmor zu übertragen, aus dem schließlich die endgültige Skulptur entstand. Wer so berühmt und nachgefragt war wie Canova, ließ das qualifizierte Mitarbeiter machen. Die letzte Marmorschicht wurde dann vom Meister selbst bearbeitet.

An den kleinen schwarz oxidierten Bronzenägeln kann man auch die Gipsskulpturen aus der Zeit von Canova erkennen. Während des Ersten Weltkrieges traf eine Granate die Gipsothek. Einige Gipsabgüsse wurden dabei völlig zerstört, andere beschädigt. Zum 100. Todestag Canovas waren die ersten Restaurierungsarbeiten abgeschlossen und das Museum öffnete wieder.

Dass der künstlerische Nachlass nach Canovas Tod in Possagno und im städtischen Museum im rund zwanzig Kilometer entfernten Bassano del Grappa gelandet ist, verdanken die beiden Städte Canovas Stiefbruder, Monsignore Giovanni Battista Sartori. Nach dem Tod Canovas hatte dieser die zahlreichen Gipsstatuen, die sich in Canovas Werkstatt in Rom befanden, nach Possagno gebracht und die Skizzen und Briefe dem Museum in Bassano del Grappa gestiftet. 

Sartori sorgte auch dafür, dass der Tempel von Canova fertiggebaut wurde. Der Tempel ist eine römisch-katholische Pfarrkirche im Stile des Parthenons in Athen und des Pantheons in Rom. Er befindet sich auf einem Hügel gegenüber der Gipsothek. Antonio Canova hat nicht mehr erlebt, dass der Tempel fertiggestellt und am 7. Mai 1832 als Pfarrkirche von Possagno geweiht wurde. Der große Bildhauer starb am 13. Oktober 1822 und liegt hier begraben. Seine Werke erfreuen Kunstfreunde noch heute und auch wohl die nächsten 200 Jahre.

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Gypsotheca Antonio Canova und Tempio Canoviano in Possagno: Museum und Tempel bilden eine Sichtachse.

Museum Gypsotheca Antonio Canova Webseite und auf Google-Maps.

Tempel von Canova Webseite

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