Mit welcher Stadt ist Paris glücklich verbunden, warum hatte das antike Lutetia keine Ost-West-Hauptstraße, wer waren die Schiffer der Parisii und steht die Kathedrale Notre Dame auf einem römischen Jupitertempel? Hier gibt es Antworten.
Das moderne Paris wurzelt auf den Überresten einer antiken Vergangenheit. Lange bevor Paris zur Hauptstadt Frankreichs wurde, existierte an der Seine eine gallo-römische Stadt: Lutetia. Sie entwickelte sich aus einer keltischen Siedlung des Stammes der Parisii auf der Seine-Insel, die vermutlich bereits Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus entstand, zu einer Stadt unter römischer Herrschaft. Julius Caesar erwähnte Lutetia erstmals im Jahr 53 vor Christus in seinem Werk „De bello Gallico“.
Nach der Eroberung Galliens durch Caesar und der Befriedung der Region unter Kaiser Augustus begann die eigentliche römische Urbanisierung. Die siegreichen Römer überließen die Insel zunächst weitgehend den Parisii und gründeten am linken Seineufer eine neue Stadt, dort wo das heutige Studentenviertel Quartier Latin liegt. Das römische Lutetia wurde nach einem weitgehend regelmäßigen Rasterplan angelegt. Die Hauptachse in Nord-Süd-Richtung bildete der Cardo Maximus, deren Verlauf die heutigen Rue Saint-Jacques folgt. Eine Besonderheit Lutetias war das Fehlen einer ausgeprägten Decumanus Maximus, der typischen Hauptachse in Ost-West-Richtung. Stattdessen übernahm die Seine diese Funktion als zentrale Verkehrs- und Handelsader.
Obwohl Lutetia keine Provinzhauptstadt war, entwickelte es sich zu einem wichtigen urbanen Zentrum mit beeindruckenden öffentlichen Bauten, das seinen Wohlstand und seine Bedeutung als Handels- und Verwaltungszentrum demonstrierte. Mindestens drei große öffentliche Badeanlagen sind in Lutetia nachgewiesen, was auf eine beträchtliche Bevölkerungszahl und einen hohen Grad an Romanisierung hindeutet.
Die Überreste einer dieser Thermen sind heute noch zu sehen: die Nord-Thermen (Thermes de Cluny). Die Anlage wurde Ende des ersten Jahrhunderts erbaut und ist das am besten erhaltene römische Bauwerk in Paris. Nach den antiken Statuen im Louvre sind sie das schönste Erbe Roms in Paris. Die Thermen nahmen damals einen ganzen Häuserblock (Insula) ein und umfassten etwa 6000 Quadratmeter. Erhalten ist vor allem das monumentale Kaltbad (Frigidarium) mit seinen beeindruckenden Gewölben, die sich über vierzehn Meter hoch erheben. Die Mauern zeigen die hochwertige römische Bautechnik mit dem Wechsel von Bruchsteinlagen und Ziegelbändern (opus vittatum mixtum). Vom einstigen Dekor aus Marmor, Wandmalerei und Statuen sind nur Fragmente erhalten.






Eines der bedeutendsten und ältesten Monumente aus dem römischen Paris ist der sogenannte Nautenpfeiler. Die Votivsäule, die zu Ehren des römischen Gottes Jupiter und des Kaisers Tiberius errichtet wurde, zeigt verschiedene Gottheiten und gilt als Beispiel der Verschmelzung römischer und gallischer Kultur. Die Säule wurde von der reichen und einflussreichen Nautae Parisiaci gestiftet. Diese Schiffer der Parisii waren ein Collegium von Händlern und Bootsleuten, die den Warenverkehr auf der Seine und ihren Nebenflüssen kontrollierten. Der Pfeiler wurde Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bei Ausgrabungen unter der Kathedrale Notre-Dame in mehreren Blöcken wiederentdeckt. Die Steine waren als Baumaterial in den Fundamenten einer späteren Befestigungsmauer oder der frühchristlichen Kirche wiederverwendet worden.
In dem kleinen Park neben den Themen steht eine bronzene Skulptur, die man leicht übersieht, wenn man nicht bewusst nach ihr Ausschau hält. Es ist eine Nachbildung der Kapitolinischen Wölfin, dem Wahrzeichen Roms. Die Inschrift auf dem Sockel lautet: „Zur Stärkung der Bande des Vertrauens und der Liebe, durch die jede der beiden Städte glücklich mit der anderen verbunden ist, hat Rom dieses sagenumwobene Wahrzeichen seines Ursprungs seiner Zwillingsschwester Lutetia Parisiorum zur Aufstellung vor den Augen ihrer Bürger in größter Zuneigung als Geschenk dargebracht am 30. Mai des Jahres 1962.“ Tatsächlich ist die Stadt Paris bis heute nur eine einzige Städtepartnerschaft eingegangen. Mit Rom.
Der Fundort des Nautenpfeilers, deren Überreste in den Nord-Thermen zu sehen sind, ist heute ein Museum. Die Archäologische Krypta auf der Île de la Cité enthält einen Teil des antiken Hafens von Lutetia und die Überreste von römischen Wohnhäusern. Außerdem sind Ruinen aus dem vierten Jahrhundert zu sehen, als Lutetia von einfallenden Germanen bedroht wurde. Das Leben verlagerte sich wieder auf die Seine-Insel, die mit einer massiven Stadtmauer befestigt wurde und auf der man auch öffentliche Gebäude wie eine Thermenanlage errichtete. Von beiden Bauwerken sind Überreste zu sehen.






Interessant sind die ausgestellten Bohrkerne. Sie geben Aufschluss über die verschiedenen Erdschichten und Epochen. Angefangen von einer Teerschicht über eine dicke Betonschicht hin zur Darstellung des Hohlraumes, der durch die archäologischen Ausgrabungen entstanden ist und heute den Museumsbereich abbildet. Tatsächlich ist er im Bohrkern nicht maßstabsgetreu dargestellt. Darunter liegt eine graue Schicht Steinstaub, die beim Zerfall der Stadtmauern entstanden ist. Danach kommt ein großer Bereich aus der Spätantike, in dem sich Mauerreste, Mörtel, Kalkstein und Ziegelsteine befinden. Der unterste Bereich enthält Mutterboden mit Fauna, Knochen, Ziegel und insbesondere schwarze Keramik mit roter Masse aus dem ersten Jahrhundert.
Die populäre Theorie, wonach die Kathedrale Notre-Dame auf den Überresten eines römischen Tempels erbaut wurde, lässt sich nach dem heutigen Stand der Forschung nicht mehr halten. Anstelle eines monumentalen Tempels befand sich an dieser Stelle in der Antike ein normales Wohngebiet mit Straßen und Häusern.
Von der römischen Hauptstraße Lutetias, dem Cardo Maximus ist heute nichts mehr zu sehen, außer der geraden Trasse der Straßenführung, der heute die Rue Saint-Jacques folgt. Der Turm mit der markanten grünen Kuppel gehört zu einem Gebäude der Universität Sorbonne.
Die letzte Station des römischen Erbes von Paris ist das Amphitheater, die Arènes de Lutèce. Unscheinbar öffnet sich der Eingang zur Arena an der Rue Monge 49 zwischen einem Restaurant und einem Hotel. Die Stätte wurde im ersten Jahrhundert erbaut und bot Platz für etwa 15.000 bis 17.000 Zuschauer, was fast der gesamten damalige Bevölkerung Lutetias entsprach.
Die Zuschauerränge wurden teilweise in den natürlichen Hang eines Hügels gebaut. Während klassische Amphitheater für Gladiatorenkämpfe umlaufende Zuschauerränge hatten, besaß die Arena von Lutetia an einer Seite eine Bühne mit Bühnengebäude für Theateraufführungen. Heute sind davon noch die ersten Reihen der Zuschauerränge, die Fundamente der Umfassungsmauern und die Grundmauern der Nischen des Bühnengebäudes erhalten. Sie sorgten dafür, dass sich der Schall in der gesamten Arena verteilte. Von dem französischen Architekten und Archäologen Jean-Claude Golvin gibt es eine schöne Rekonstruktionszeichnung der Arena von Lutetia.
Im späten neunzehnten Jahrhundert wurden die antiken Überreste wiederentdeckt, als an dieser Stelle ein Busdepot gebaut werden sollte. Auf Betreiben engagierter Bürger wurden sie unter Schutz gestellt und teilweise restauriert. Heute ist die Arena ein öffentlicher Park und viele Pariserinnen und Pariser nutzen den Bereich bei gutem Wetter für ihre Mittagspause.





Lohnt sich eine Parisreise für Freunde der Antike? Durchaus!
Paris kann bei Antikenfreunden zwar mehr mit den Statuen und Objekten im Louvre punkten als mit seinem baulichen Erbe aus der Römerzeit. Wer das sehen will, ist in Südfrankreich besser aufgehoben, vor allem in Arles, Nimes oder Orange. Paris hat dann aber wieder die Nase vorn, wenn es um die Reminiszenz an die Antike geht, beispielsweise mit neoklassischer Architektur.
Danke fürs Lesen. Möge Fortuna stets mit Dir sein.