Mit dem NarboVia hat Narbonne seit 2021 ein Römermuseum. Die riesige Steingalerie ist eine Reminiszenz an das römische Erbe, das nach dem Ende der Antike bruchstückhaft in der mittelalterlichen Stadtmauer verbaut war.
Das NarboVia Museum von Norman Foster im südfranzösischen Narbonne sieht von außen aus wie eine große Lagerhalle. Innen ist man überrascht, vom baulich schlichtem Charme der Räume und der doch vergleichsweise geringen Größe der Ausstellung. Denn von den 8000 Quadratmetern Fläche dienen nur 2700 Quadratmeter der Dauerausstellung, weitere 500 sind für Wechselausstellungen reserviert. Mehr als die Hälfte des Museumsbaus wird für Arbeitsräume der archäologischen Forschung, für Restaurierungen, Lagerräume und Büros verwendet.
Endlich aber hat Narbonne mit dem NarboVia ein prominentes Zeugnis seines römischen Erbes. Im Stadtbild hat die einstige Hauptstadt der römischen Provinz Gallia Narbonensis kaum etwas davon vorzuzeigen. Die monumentale Pracht der römischen Stadt Narbo Martius ist heute fast unsichtbar: Tempel, ein Forum, ein Amphitheater und Thermen wurden am Ende der Antike und im Mittelalter zerstört. Geblieben ist ein Stückchen Via Domitia am Rathausplatz, einer von sechs Brückenpfeilern über den Canal de la Robine, ein unterirdisches Horreum und im Umland ein Betrieb zur Produktion von Amphoren. Andere Städte in Südfrankreich wie Arles, Nimes und Orange punkten dagegen mit ihren Arenen, Theatern und Triumphbögen aus römischer Zeit.
Viele Fragmente der Gebäude Narbo Martius wurden für den Bau der nachfolgenden Stadtmauern Narbonnes sowie für zahlreiche Häuser und Kirchen verwendet. Als die Stadtmauern schließlich zwischen 1868 und 1884 abgerissen wurden, erhielt eine Kommission die Genehmigung, die Steinblöcke zu bergen und sie in einer ehemaligen Kirche zu sammeln. Die Blöcke der römischen Gebäude wurden in aufeinanderfolgenden Reihen gestapelt, um an die zerstörte Stadtmauer zu erinnern. Heute vereint das Museum NarboVia diese in Europa einzigartige Steinsammlung in Form einer riesigen Steingalerie, die die verlorenen Monumente von Narbo Martius zusammenfasst.
Die Dauerausstellung im NarboVia Museum ist in sechs Räume bzw. Bereiche strukturiert. “Die Stadt und ihre Bauwerke” beschäftigt sich mit dem Aufstieg der römischen Siedlung von der kolonialen Gründung bis zur Herrschaft des ersten Kaisers Augustus.
Über die erste Siedlung ist nur sehr wenig bekannt, da ihre Überreste tief unter der modernen Stadt Narbonne begraben sind. Narbo Martius war die erste römische Kolonie außerhalb Italiens. Sie wurde um 118 vor Christus als Colonia Narbo Martius errichtet. Die Bedeutung ihres Hafens und ihrer Handelsaktivitäten bestätigt ihre strategische Lage für den Warenverkehr zwischen Italien, Spanien und Westgallien. Infolgedessen spielte sie auch eine wichtige militärische Rolle, insbesondere während der Gallischen Kriege, als sie als Nachschubbasis für die Armeen von Julius Cäsar diente. Im Jahr 45 vor Christus siedelte Cäsar hier Veteranen seiner 10. Legion an, die als Abfindung für ihre Dienstzeit Grundstücke erhielten. Die Stadt prosperierte weiter. Die herausragende Rolle von Narbo Martius zeigte sich, als Kaiser Augustus im Jahr 27 vor Christus die Provinz nach der Stadt in Gallia Narbonensis umbenannte.
“Hallo, gesundes Narbonne, schön zu sehen, sowohl in deiner Stadt als auch auf dem Land, mit deinen Mauern, deinen Bürgern, deiner Einfriedung, deinen Geschäften, deinen Toren, deinen Säulengängen, deinem Forum, deinem Theater, deinen Heiligtümern, deinen Kapitolen, deinen Börsen, deinen Bädern, deinen Bögen […]. Stolz inmitten eurer halbzerstörten Zitadellen, die die glorreichen Spuren eines vergangenen Krieges zeigen, tragt ihr von den Schlägen erschütterte Blöcke.” Sidonius Apollinaris, Epistulae, IV, 3
Es war eine antike und bereits teilweise zerstörte Stadt, die der Dichter Sidonius Apollinaris im Jahr 465 feierte. Er betonte die Schönheit ihrer imposanten Architektur als Symbol ihres politischen und kulturellen Einflusses. Narbo Martius erlebte seine Blütezeit in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christus. Damals erreichte die Stadt ihre größte Ausdehnung. Sie breitete sich am Nordufer des heutigen Canal de la Robine aus, der dem früheren Fluss Aude entspricht. Ein Netz senkrecht verlaufender Straßen unterteilte die Stadt in Blöcke, in denen die zahlreichen für eine römische Großstadt typischen Bauwerke standen: Forum, Tempel, Amphitheater, Thermen, Markt.
Der Altar aus dem antiken Narbo Martius zeigt, wie schnell sich die Botschaft des augusteischen Friedens in den Provinzen verbreitete. In den Jahren 13 bis neun vor Christus wurde der Altar von Titus Domitius Romulus in Erfüllung eines Gelübdes der Göttin Pax Augustus geweiht. Es ist einer der ersten Belege für das, was später zum Kaiserkult in Narbo Martius wurde.
Die Marmortafel enthält den Gesetzestext des Augustuskultes. Den Kult um den Numen, den göttlichen Geist, des Augustus führten die Bürger von Narbo Martius im Jahr 11 nach Christus ein und errichteten einen Altar auf dem Forum. Die Inschrift beschreibt die Zeremonien, die fünfmal im Jahr zu bestimmten Zeitpunkten durchzuführen waren.
Als römische Kolonie beherbergte Narbo Martius eine große italienische Bevölkerung, die auf gallischem Gebiet das typische römische Wohnumfeld nachahmte. Die städtische Struktur, die nach einem orthogonalen Raster aus Haupt- und Nebenstraßen organisiert war, bildete Häusergruppen, die in Bezirken mit spezifischen Funktionen zusammengefasst waren. Das römische Modell machte sich vor allem bei den Wohnungen bemerkbar: In Narbo Martius befanden sich zahlreiche Stadthäuser, die im römischen Stil mit Mosaiken, Gemälden und Skulpturen reichlich verziert waren. Einige dieser Gebäude hatten einen typischen Grundriss, wie man ihn auch von Häusern aus Pompeji und Herculaneum kennt. Sie sind um ein Atrium herum gebaut, dem zentralen Raum, in dem sich die Empfangsräume, das Triclinium (Esszimmer) und der Garten mit dem umgebenden Säulengang verteilen. Die Wirtschaftsräume befanden sich an der Peripherie. Dieser Haustyp war für die wohlhabenden Bevölkerungsschichten bestimmt. Von den vielen weniger luxuriösen Wohnhäusern der Stadt ist nicht viel bekannt.
Der große Raum im Zentrum der Dauerausstellung im NarboVia Museum gleicht dem Atrium eines Domus. Das römische Haus ist um diesen zentralen Raum mit der zenitalen Öffnung angelegt, durch die das Regenwasser in ein Becken und eine Zisterne einfällt. Für die wichtigen Leute der Stadt wurde das Atrium zu einem halböffentlichen Raum, der als Rahmen für die Darstellung der Familia diente. Hier wurden die Schutzgötter des Hauses und der Familie, Porträts der Vorfahren und Dokumente ausgestellt, die von der Bedeutung der Familie zeugen. In seinem Tablinum (Büro), einem Raum, der sich zum Atrium hin öffnet, verwaltete das Familienoberhaupt seine Angelegenheiten und übt seine öffentlichen Ämter aus. Hier empfängt er seine politischen Anhänger und Klienten. Der private Teil des Hauses ist um einen mit einem Garten geschmückten und von einem Säulengang umgebenen Innenhof angeordnet.
Ein weiterer Ausstellungsbereich zeugt von Narbo Martius als dem Zentrum des römischen Seehandels im Mittelmeer. Zwei Jahrhunderte war die Stadt der Umschlagplatz für mediterrane Produkte in Gallien. An den Anlegestellen des Hafens wurden Wein und italienisches Geschirr in großen Mengen angeliefert. Um die Zeitenwende wurden auch spanische Produkte importiert, ebenso wie Waren aus dem östlichen Mittelmeerraum wie z.B. Weine aus Griechenland. Die Kaufleute von Narbonne exportierten gallische Weine und in Gallia Narbonensis hergestellte Keramik nach Italien. Die Handelsschiffe transportierten auch lokale Produkte wie Baumaterialien aus den Steinbrüchen, Weizen und wahrscheinlich auch Salz aus der Lagune. Narbo Martius wurde auch zum wichtigsten Umschlagplatz für Öl und Salzlake aus dem Süden der Iberischen Halbinsel nach Italien und nach Ostia, dem Handelshafen von Rom.
In einem Innenraum des Museums NarboVia werden mehrere Modelle von römischen Handelsschiffen präsentiert. Wechselnde Projektionen an den umliegenden Wänden erklären Bau, Antrieb, Ladung und Navigation.
“Ihr Hafen war Narbo Martius, und es wäre richtiger zu sagen, dass es der Hafen von ganz Gallien ist, so sehr, dass er die anderen durch die Anzahl der Unternehmen, denen er als Handelsplatz dient, übertrifft.” Strabon, Geographie 4, 1, 12
Wie der griechische Geograph Strabo erklärt, waren im ersten Jahrhundert vor Christus in Narbo Martius zahlreiche Handelsgesellschaften ansässig. In diesen Gesellschaften schlossen sich Schiffseigner, die so genannten Naviculars, zusammen und vermieten Schiffe für den Warentransport an Kaufleute. Einige dieser Unternehmen waren in der Korporation der Navikulare von Narbo Martius zusammengeschlossen und spielten eine Rolle bei der Versorgung Roms. Sie gehörten zu den Vertretern der wichtigsten Häfen des Reiches auf dem Mosaik der Piazza dei Corporati in Ostia.
Von den Unternehmern, Kaufleuten und Händlern Narbo Martius kennt man einige Namen aus Inschriften. So beispielsweise die Salzhersteller Lucius Salonius Hilarus und Lucius Salonius Buccio. Der Grabstein aus Marmor stammt aus der Zeit zwischen dem späten ersten Jahrhundert vor Christus bis zum frühen ersten Jahrhundert nach Christus. Lucius Salonius Hilarus war ein Salinator, ein Produzent und Händler von Salz. Salz war ein unverzichtbares Gut für die Konservierung von Lebensmitteln. Lucius Salonius Hilarus wurde in dem von seinem Kollegen Lucius Salonius Buccio errichteten Grabmal an der Via Domitia, möglichst nahe an der Lagune von Bages, beigesetzt. Wahrscheinlich waren die beiden Geschäftspartner und lebten unweit der Begräbnisstätte in den zahlreichen Salzwiesen der Gegend.
Ende des vierten oder Anfang des fünften Jahrhunderts nach Christus musste ein Teil des römischen Deichs von Mandirac an der Mündung der Aude nach einer Sturmflut wiederhergestellt werden. Die Restaurierung erfolgte in der Phase des Abbaus der großen öffentlichen römischen Monumente. Um die Bresche im Deich zu schließen, benutzten die Einwohner von Narbonne ein 12m langes Boot, das sie unter Fragmenten von Steinblöcken alter Gebäude vergruben. Darunter befanden sich einige große Blöcke aus weißem Marmor vom Kapitol Narbo Martius.