Das Antalya Museum enttäuscht auf den ersten Blick. Ein niedriger Flachbau, Vitrinen mit Kleinteilen, Modelle für Kinder. Doch dann eröffnet ein langer Korridor mit mehreren Sälen den Zugang zu den Schätzen des Museums: den großartigen Statuen aus dem antiken Perge.
Ein Spaziergang durch die Ruinen von Perge, etwa 18 Kilometer östlich von Antalya, ist ein eindrückliches Erlebnis. Man wandelt über die von tiefen Wagenspuren gezeichneten Steinplatten der einst prächtigen Kolonnadenstraßen, blickt auf die gewaltigen hellenistischen Tore und steht staunend vor den Dimensionen des Theaters und des Stadions, das einst tausenden Zuschauern Platz bot. Die Sonne brennt auf die verbliebenen Mauern und Säulenreste einer Stadt, die in der römischen Kaiserzeit eine Blüte erlebte. Doch bei aller Faszination für die architektonische Größe bleibt ein Gefühl der Leere. Die einstige Pracht ist noch greifbar, aber das Leben, die Kunst, die Menschen – sie sind verschwunden.

Genau hier beginnt der zweite, unverzichtbare Akt eines Besuchs in Perge: die Fahrt ins Antalya Museum, dem archäologische Museum der Urlaubsmetropole im Süden der Türkei. Das Museum ist nicht nur ein Gebäude voller Artefakte; es ist der Ort, an dem die Seele von Perge bewahrt wird. Herrscher, Götter und ihre Gehilfen, Bürgerinnen und Bürger der wohlhabenden Oberschicht. Dank der systematischen Ausgrabungen, die seit 1946 in Perge stattfinden, beherbergt das Museum eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen römischer Skulpturen. Der Besuch führt uns auf den Spuren zweier Erzählungen: der Geschichte von Perges goldenem Zeitalter und dem modernen Drama um den Schutz des kulturellen Erbes, das dieses Museum wie kaum ein anderes verkörpert.

Der Saal der Kaiserstatuen im Antalya Museum ist das politische Machtzentrum der Perge-Sammlung. Hier stehen die steinernen Porträts der Männer und Frauen, die das Römische Reich während Perges goldener Ära regierten: Trajan, Hadrian und seine Frau Vibia Sabina, Septimius Severus und seine Frau Julia Domna, Caracalla und Lucius Verus. Ihre allgegenwärtigen Bilder waren eine ständige Demonstration römischer Autorität. Doch zwischen diesen Herrscherfiguren fallen mehrere Statuen auf, die eine völlig andere Geschichte erzählen – die von weiblicher Macht, kultureller Blüte und idealisierter Schönheit.







Die erste ist die Statue der Plancia Magna. Sie war nicht nur eine wohlhabende Bürgerin, sie wurde eine historische Kraft. Die Tochter einer reichen römischen Senatorenfamilie war die größte Wohltäterin in der Geschichte von Perge. Ihre Titel sind beeindruckend: Priesterin der Artemis, Hohepriesterin des Kaiserkultes und – für eine Frau absolut außergewöhnlich – demiourgos, das höchste jährliche Magistratsamt der Stadt. Ihr größtes Spendenprojekt war die Umgestaltung des hellenistischen Südtores der Stadt. Sie verwandelte es in einen prachtvollen, hufeisenförmigen Ehrenhof, dessen Wände mit Nischen für 28 Statuen versehen waren.

Eine zweite bemerkenswerte Skulpturengruppe in diesem Saal sind die Drei Grazien. Diese Marmorstatue aus dem zweiten Jahrhundert ist eine römische Kopie eines hellenistischen Originals und zeigt die drei Töchter des Zeus: Euphrosyne, Aglaea und Thalia. Die drei weiblichen Figuren stehen in einer harmonischen, eng umschlungenen Pose, die Einheit und Freundschaft symbolisiert. Ursprünglich schmückte diese Gruppe, zusammen mit anderen Götter- und Kaiserfiguren, die Fassade des Nymphäums von Septimius Severus, eines monumentalen Brunnens. Ihre Platzierung an einem so prominenten öffentlichen Ort unterstreicht den hohen Stellenwert von Anmut, Schönheit und Lebensfreude im städtischen Leben des reichen Perge.
Als klassisches Motiv der antiken Kunst, das über Jahrhunderte hinweg Künstler inspirierte, verkörpern die Grazien ein zeitloses Ideal von Harmonie und Ästhetik, das den kulturellen Anspruch der Stadt widerspiegelt. Bereits in der Antike war das Motiv als Skulptur, aber auch in Mosaiken weit verbreitet. Nach der Antike erlebte es oft eine Rezeption.

Die dritte herausragende Figur in diesem Saal ist Die Tänzerin. Sie ist ein handwerkliches Meisterwerk, gefertigt aus zwei verschiedenfarbigen Marmorsorten: strahlend weiß für die Hautpartien – Gesicht, Hals und Arme – und tiefschwarz für das Haar und das wirbelnde Gewand. Dieser polychrome Effekt war nicht nur ein Beweis höchster bildhauerischer Fähigkeit, sondern auch ein Zeichen von Luxus. Die Statue ist in einer dynamischen Drehbewegung eingefangen, ihr Kleid scheint um sie herumzufliegen. Wahrscheinlich handelt es sich nicht um eine Tänzerin im profanen Sinne, sondern um eine Mänade, eine der ekstatischen Begleiterinnen des Weingottes Dionysos. Gefunden wurde sie 1981 in den Südbädern von Perge. Ihre heutige Erscheinung verdanken wir der mühevollen Arbeit von Restauratoren, die sie aus 103 einzelnen Fragmenten wieder zusammensetzten.
Der Saal der Götter im Antalya Museum empfängt den Besucher mit einem steinernen Pantheon. In schlichter Eleganz, ausgeleuchtet vor grauen oder roten Wänden, stehen dort die Götterstatuen, die einst die öffentlichen Plätze und Gebäude von Perge schmückten: Göttervater Zeus und sein Bote Hermes, Artemis und ihr Zwillingsbruder Apollo, Aphrodite, die Göttin der Liebe und Schönheit und Nemesis, die Göttin des gerechten Zorns.






Doch im Zentrum dieses göttlichen Aufgebots im Antalya Museum steht eine Gestalt, die vor allem durch ihre Menschlichkeit besticht: der kolossale Müde Herkules. Seine Geschichte ist nicht nur Mythologie, sondern auch ein moderner Krimi. Im Jahr 1980 entdeckten türkische Archäologen bei Ausgrabungen in Perge die untere Hälfte der Statue. Der obere Torso war bereits Jahre zuvor illegal ausgegraben und aus dem Land geschmuggelt worden. 1981 tauchte er im Kunsthandel auf und wurde von einem Bostoner Museum erworben. Jahrzehntelang standen die beiden Hälften dieses Meisterwerks getrennt voneinander auf verschiedenen Kontinenten. Es dauerte bis 2011, bis die obere Hälfte nach langen Verhandlungen nach Antalya zurückkehrte und die Statue vom Typ des Herkules Farnese wiedervereinigt werden konnte. Ein Verdienst der türkischen Archäologin Jale İnan.

Bei der Statue handelt es sich um eine römische Marmorkopie aus dem zweiten Jahrhundert nach einem verschollenen Bronzeoriginal des griechischen Bildhauers Lysippos aus dem vierten Jahrhundert vor Christus. Die Kunstfertigkeit ist beeindruckend. Herkules wird nicht im Moment des Triumphs gezeigt, sondern in einem Augenblick tiefster Erschöpfung nach der Vollendung seiner zwölf Arbeiten. Er stützt sich schwer auf seine Keule, über die das Fell des Nemeischen Löwen drapiert ist. Sein Kopf ist gesenkt, der Gesichtsausdruck von Kummer und Introvertiertheit geprägt. Es ist die Darstellung des menschlichen Preises für übermenschliche Taten. Diese Konzentration auf die Psychologie des Helden war ein Kennzeichen von Lysippos und der spätklassischen Kunst.
Die dem Typus des Herkules-Farnese namensgebende Statue befindet sich im Archäologischen Museum in Neapel. In Kassel thront er in Bronze als Wahrzeichen der Stadt auf dem Bergpark Wilhelmshöhe.

Der nächste Saal im Antalya Museum ist den reichen skulpturalen Verzierungen der Bühnenwand des Theaters von Perge gewidmet. Dieses Theater war mit einer Kapazität von bis zu 15.000 Zuschauern ein gigantischer Bau, dessen Bühne eine Leinwand für die großen Mythen war. Statuen von Dionysos, dem Gott des Weins und des Theaters, und Hermes schmückten diesen Ort ebenso wie die Statuen römischer Kaiser und Helden der hellenistischen Zeit, wie Alexander dem Großen. Wer einst wo in der Bühnenwand des Theaters stand, darüber informiert eine Videoanimation im Museum, die auszugsweise auch auf YouTube zu sehen ist.






Doch eine Figur sticht durch ihre dramatische Geschichte besonders hervor: der Satyr Marsyas. Der Mythos erzählt von Hybris, dem Hochmut des Sterblichen gegenüber den Göttern. Marsyas, ein Wesen aus dem Gefolge des Dionysos, fand die von der Göttin Athene weggeworfene Flöte und erlangte auf ihr eine solche Meisterschaft, dass er es wagte, Apollon, den Gott der Musik und der Künste, zu einem musikalischen Wettstreit herauszufordern. Der Verlierer, so die Abmachung, sollte dem Sieger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein. Marsyas verlor. Seine Strafe war grausam: Apollon häutete ihn bei lebendigem Leibe.
Viele antike Darstellungen zeigen diesen schrecklichen Akt der Bestrafung. Die Statue aus Perge ist anders. Sie fängt den Moment davor ein. Marsyas ist nicht flehend oder gebrochen. Sein Gesichtsausdruck ist zornig, voller Trotz. Die Adern an seinem Körper treten vor Anspannung hervor. Er ist besiegt, aber sein Geist ist ungebrochen. Diese psychologische Tiefe, die Darstellung eines Charakters im Moment der höchsten emotionalen Anspannung, verleiht dem Werk eine unglaubliche Kraft.

Der letzte große Saal ist den Sarkophagen gewidmet, den steinernen Särgen der römischen Elite. Ein aufwendig gestalteter Sarkophag war in der römischen Welt mehr als nur ein Behälter für die Toten; er war ein Denkmal für die Ewigkeit, ein Statussymbol, das die Tugenden und den gesellschaftlichen Rang des Verstorbenen für alle Zeiten sichtbar machen sollte. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Meisterwerk, dessen Schicksal uns bekannt vorkommt: der Herkules-Sarkophag. Auch er hat eine Odyssee hinter sich. In den 1960er Jahren wurde er aus der Nekropole von Perge geraubt. Jahrzehnte später, im Jahr 2010, wurde er von Schweizer Zollbeamten im Genfer Freihafen beschlagnahmt. Nach einem langwierigen Rechtsstreit wurde er schließlich im September 2017 an die Türkei zurückgegeben und nach Antalya gebracht. Seine Anwesenheit im Museum ist ein weiterer Triumph im Kampf um die Rückführung von Kulturgütern.

Der Sarkophag gehört zum Torre Nova-Typus, bei dem die Szenen von Säulen gerahmt werden, was dem Ganzen das Aussehen eines Miniaturtempels verleiht. Die Hochreliefs zeigen die zwölf Arbeiten des Herkules in beeindruckender Detailfülle. Hier wird die gesamte Lebensleistung des Helden ausgebreitet: sein Kampf mit dem Nemeischen Löwen, der Hydra von Lerna, dem Höllenhund Kerberos und den anderen Ungeheuern der griechischen Mythologie. Die Handwerkskunst ist exquisit, auch wenn die sichtbaren Schäden, die Grabräuber beim gewaltsamen Öffnen hinterließen, eine schmerzliche Erinnerung an seine bewegte Vergangenheit sind.
Die Herkules Mythologie auf dem Sarg hat nicht nur eine kunsthandwerkliche Bedeutung. Sie drückt auch einen zeitlosen menschlichen Wunsch nach Bedeutung im Leben und Nachruhm aus. Ein reicher Römer sah bei sich die Tugenden des größten aller Helden: Stärke, Ausdauer, der Sieg über das Chaos und letztlich die Erlangung der Unsterblichkeit. Der Sarkophag ist ein antikes, greifbares Zeugnis dieses zutiefst menschlichen Bedürfnisses, für Großes in Erinnerung zu bleiben.

Es gibt im Antalya Museum noch zwei weitere Säle mit Funden aus Perge. Den Saal der Mosaike, in dem auch eine Reihe von Büsten und Portraits aus Perge und anderen Städten ausgestellt sind, und einen kleineren Saal mit Statuen aus der westlichen Kolonnadenstraße und dem Caracalla-Nymphäum in Perge. Darunter eine vollständige Aphrodite-Statue und eine ebenfalls vollständige Statue der Mondgöttin Selene.
Die Mosaike im Saal sind – angesichts der Fülle und Qualität der Statuen und Büsten im Antalya Museum – fast schon zu vernachlässigen. Da können andere Museen wie beispielsweise das Zeugma-Mosaik-Museum in Gaziantep oder das Bardo-Museum in Tunis natürlich mehr bieten.







Webseite des Antalya Museum und auf Google Maps.
Danke fürs Lesen. Möge Fortuna stets mit Dir sein. Hier kannst Du